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Psychologische Unterstützung während der Fruchtbarkeitsbehandlung kann für viele Betroffene eine große Hilfe sein. Seit 2021 verfügt die Clínica Tambre über eine auf assistierte Reproduktion spezialisierte Psychologische Abteilung, die von der Psychologin Raquel Urteaga García geleitet wird. Sie begleitet in- und ausländische Patientinnen und Patienten bei ihrer Fruchtbarkeitsbehandlung.
Sie übt ihren Beruf mit Leidenschaft aus und stellt fest, dass es sehr erfreulich ist, zu sehen, dass die psychologische Betreuung den Menschen hilft, die sich auf den Weg machen, ihre Familie zu vergrößern.
Raquel Urteaga, Fachstelle für Psychologie mit Spezialisierung auf assistierte Reproduktion
Warum ist eine Abteilung für psychologische Betreuung wichtig?
Tambre ist eine Klinik, die sich durch Spitzenleistungen in der individuellen und ganzheitlichen Patientenbetreuung auszeichnet. Wir arbeiten im Bereich der Gesundheit, um die Situation unserer Patientinnen zu optimieren, damit sie ihre Träume verwirklichen können. Die psychische Gesundheit ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Prozesses, in dieser Abteilung kümmern wir uns darum.
Welchen Bedarf an emotionaler Unterstützung gibt es bei einer Fruchtbarkeitsbehandlung?
Im Laufe der Behandlung werden Gedanken, Gefühle und sogar Verhaltensweisen auftauchen, die für viele Menschen neu sind. Diese neue Situation führt zu Veränderungen bei einer Person, aber auch in der Paarbeziehung. Zwischen 40 und 60 Prozent der Patientinnen in Behandlung durchleben Phasen mit aufkommender Ängstlichkeit, depressive Momente oder Symptome, die gemischt sein können. Unsere psychologische Betreuung soll das Aufkommen solcher Symptome möglichst verhindern. Sollten sie dennoch in Erscheinung treten, sind wir für ihre Linderung und Behandlung zuständig.
Für wen ist eine psychologische Betreuung in der Kinderwunschbehandlung angezeigt?
Fruchtbarkeitsbehandlungen sind Prozesse von unterschiedlicher Dauer, die, allgemein gesagt, Ressourcen erfordern, auf die die Patientinnen zuvor nicht zurückgreifen mussten. Manche Menschen passen sich sehr gut an die damit verbundenen Veränderungen und Anforderungen an, während andere das Gefühl haben, dass sie Beratung und Unterstützung brauchen, um mit einem angemessenen psychischen Wohlbefinden ihr Leben fortzuführen. Unserer Erfahrung nach ist eine solche Unterstützung nicht in jedem Fall erforderlich. Aber wann immer der Wunsch danach aufkommt, wird sie als nützlich empfunden.
„Psychologische Unterstützung und Betreuung durch Fachpersonal innerhalb des IVF-Teams ist notwendig”, folgert unter anderen Dr. Boivin, einer der weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Beratung bei Infertilität (Peterson B, Boivin J, Norré J, et al., 2012).
Die durch Unfruchtbarkeit hervorgerufene Depression ähnelt der, die von Krebserkrankungen ausgelöst wird
Dies geht aus einer Studie hervor, in der die psychische Belastung von Patientinnen mit verschiedenen Krankheiten gemessen wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass die mit Unfruchtbarkeit verbundenen psychologischen Symptome denen ähneln, die mit anderen schweren Erkrankungen (Krebs, Herzerkrankung) verbunden sind (Domar, Zuttermeister und Friedman, 1993).
Sowohl bei einer Krebserkrankung als auch bei Unfruchtbarkeit erleiden die Betroffenen den Zustand eines drohenden Verlustes: In einem Fall ist die Gesundheit oder das Leben des eigenen Körpers bedroht, im anderen Fall betrifft die Bedrohung die reproduktive Gesundheit, die das Leben des zukünftigen Kindes, das sie zeugen möchten, bedroht. Beides sind grundlegende existenzielle Situationen für Menschen, hieraus ergibt sich die Nachbarschaft.
Emotionale Phasen, die man während der Behandlung durchläuft
Wenn ein Mensch mit der Diagnose Unfruchtbarkeit konfrontiert wird, beginnt er oder sie eine Art Trauerprozess, den es zu beachten gilt. Die Betroffenen durchlaufen verschiedene Phasen (Schock/Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz), wobei jedoch die Reihenfolge und die Art und Weise des Erlebens nicht bei allen gleich sind. Je nach Art der Behandlung kommen zusätzliche Belastungen hinzu (Abbruchängste, genetische Trauer). Während einer Behandlung wird es verschiedene emotionale Momente geben, Höhen und Tiefen, Psychologen nennen es die, emotionale Achterbahn”.
Wie geht man mit mehreren erfolglosen Behandlungen um?
Wir wissen, dass die Häufung von Behandlungen emotional sehr belastend ist. Man muss seine Erwartungen anpassen und weiterhin die Illusion und Hoffnung aufrechterhalten, dass man seine Familie vergrößern kann. Es ist nicht einfach, diese Faktoren in Einklang zu bringen. Für Fachleute, die im Bereich der assistierten Reproduktion arbeiten, sind die ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) und die SEF (Sociedad Española de Fertilidad) Referenzpunkte für die tägliche Gestaltung unserer Arbeit. Die ESHRE zum Beispiel legt in ihren Empfehlungen bei rezidivierendem Implantationsversagen (RIF) die Betreuung und Beratung der Patientinnen nahe, denn es hat sich gezeigt, dass Frauen mit RIF im Vergleich zu fruchtbaren gesunden Kontrollpersonen ein deutlich höheres Stressniveau aufweisen und über Gefühle der sozialen Isolation sowie über Empfindlichkeit gegenüber Kommentaren berichten (ESHRE Working Group on Recurrent Implantation Failure, 2023).
Nach meiner Erfahrung ist die Hoffnung, ein Kind zu bekommen, so groß, dass die Patientinnen daran festhalten. Oft wird wird diese Hoffnung zur Realität, auch wenn der Weg dahin nicht leicht ist.
Was sind die größten psychologischen Herausforderungen für Paare, die mit Fruchtbarkeitsproblemen zu kämpfen haben?
Laut wissenschaftlichen Studien zur Reproduktionspsychologie bedeutet die Diagnose der Unfruchtbarkeit in emotionaler, psychologischer und ökonomischer Hinsicht oft einen langen und aufwendigen Weg (Dominguez, 2010 und Crawford, Hoff, Mersereau, 2017). Schätzungsweise lösen solche Beschwerlichkeiten bei 40 Prozent der Patientinnen mit Reproduktionsproblemen Ängste oder Depressionen aus. Nach meiner Erfahrung in der Psychologischen Abteilung ist die größte Herausforderung, über die sich alle einig sind, die Unsicherheit. Um zu einem positiven Ergebnis zu kommen, sind kleine Schritte erforderlich, die uns näher bringen. Ein jeder dieser Schritte enthält die Möglichkeit für ein besseres oder ein schlechteres Resultat. Ich würde sagen, dass es sich um eine Reise mit vielen Zwischenstopps handelt, und bei jedem dieser Stopps tragen die Persönlichkeit, die Erwartungen und die bisherigen Erfahrungen sowie der spezifische psychologische Moment, in dem sich die Patientin befindet, dazu bei, dass sie ihn besser oder weniger gut durchlebt. Die mangelnde Vertrautheit mit dem Behandlungsprozess ist ein weiterer Faktor, der Unbehagen hervorruft. Anfangs ist alles neu, es ist ein Erlebnis, von dem die Patientin nie gedacht hätte, dass es sie betreffen könnte. Aber vergessen wir nicht, dass laut WHO-Angaben für das Jahr 2023 eines von sechs Paaren an Unfruchtbarkeit leidet.
Wie wirken sich Stress und Ängste auf die Behandlung aus?
Viele Patientinnen sind der Meinung, dass sie nicht schwanger werden können, wenn sie unter Stress leiden. Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Stress bei der assistierten Reproduktion eine Schwangerschaft verhindert. Bekannt ist, dass anhaltender Stress und Angstzustände zu Veränderungen im Immun- oder Hormonsystem führen können. Wir wissen auch, und so wird es von der Spanischen Gesellschaft für Fertilität (SEF) bestätigt, dass Stress oder Ängste den Prozess direkt beeinflussen: Manchmal führen sie dazu, dass der Versuch, ein Kind zu bekommen, vorzeitig aufgegeben wird und somit eine Schwangerschaft nicht erreicht werden kann.
Ist der Moment der Befruchtung der höchste Stresspunkt für die Patientin?
Der Höhepunkt des Stresses ist der Moment der Eizellentnahme. Aber auch der Transfer und die Wartezeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses, die so genannte Beta-Wartezeit, enthalten Stressfaktoren.
Welche Rolle spielt die emotionale und psychologische Unterstützung während der Behandlung?
Viele Jahre lang hat man fälschlicherweise geglaubt, dass die psychologische Komponente während der Fruchtbarkeitsbehandlung vernachlässigt werden kann. Doch dank der Enttabuisierung der psychischen Gesundheit und der zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisse in den Neurowissenschaften und der Psychologie wissen wir heute, dass es für eine umfassende Betreuung der Patienten unerlässlich ist, auch psychologische Aspekte zu berücksichtigen. Diejenigen, die in unsere Abteilung kommen, berichten von einer großen emotionalen Erleichterung und einer besseren Fähigkeit, die oft komplizierte Situation zu bewältigen. Sie berichten auch, dass sie die Beta-Wartezeit oder sogar ein negatives Ergebnis anders erleben, wenn sie psychologisch begleitet werden, im Gegensatz zu früheren Fällen, in denen sie solch eine Betreuung nicht hatten. Darüber hinaus behandelt die Psychologische Abteilung nicht nur die aktuellen Symptome, sondern führt auch Maßnahmen durch, um zu verhindern, dass der Weg zu beschwerlich wird. Zu diesem Zweck nutzen wir Psychoedukation zu Beginn oder während der Behandlung, emotionale Leitlinien, Hilfe bei der Entscheidungsfindung, Management der Erwartungen.
Wann sollten Frauen oder Paare mit Kinderwunsch an psychologische Hilfe denken?
Einige der häufigsten Anzeichen, die auf einen Beratungsbedarf hindeuten, sind:
- Verlust des Interesses an den üblichen Aktivitäten
- Stimmungstiefs, die nicht vergehen
- Angstzustände
- Zwischenmenschliche Schwierigkeiten mit Partner, Familie, Freunden
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Fokussierung auf das Denken an Unfruchtbarkeit
- Veränderte Schlafgewohnheiten
- Veränderung der Ernährung (in Form von Reduktion oder Übermaß)
- Erhöhter Konsum von Genussmitteln
- Phasen von Ärger oder Wut, die kaum abklingen
- Anhaltende soziale Isolation.
Die Empfehlung lautet: Wenn solche Beschwerden Ihr Leben länger als zwei Wochen intensiv und beinahe täglich beeinträchtigen, sollten Sie sich an die Psychologische Abteilung wenden, damit wir gemeinsam nach Mitteln suchen können, um diese Beschwerden so schnell wie möglich zu beseitigen.
Literatur
Domar AD, Zuttermeister PC, Friedman R. The psychological impact of infertility: a comparison with patients with other medical conditions. J Psychosom Obstet Gynaecol. 1993;14 Suppl:45-52. PMID: 8142988. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8142988/
Atención psicosocial de rutina en casos de infertilidad y reproducción asistida. Guía para el equipo de fertilidad, Human Reproduction, Vol.0, No.0 pp. 1 –11, 2015 Manual de protocolos de intervención psicológica con pacientes con problemas reproductivos, SEF, Diego Marín, ISBN 978-84-17901-79-0, 2019, 153-173. Peterson B, Boivin J, Norré J, et al. An introduction to infertility counseling: a guide for mental health and medical professionals. J Assist Reprod Genet. 2012 Jan 31 ESHRE, SEF, WHO, ASRM
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